«Für diese Katastrophe ist für einmal nicht der Mensch verantwortlich»

    Die Schweizer Geologin Barbara Müller leitet in Nepal ein Wasserprojekt. Das Problem: Grundwasser im Einzugsgebiet von Millionen Menschen ist mit Arsen verseucht. Die Ursache liegt im Gestein. Die Lösung ist so einfach wie raffiniert. Im Gespräch mit der «Umwelt Zeitung» erläutert Barbara Müller die Hintergründe. Und sie erzählt, wie sie trotz mehrfacher Behinderungen anspruchsvolle berufliche Tätigkeiten meistert und warum sie nun für Mass-Voll! für den Nationalrat kandidiert.

    (Bilder: zVg) Barbara Müller (r.) im Einsatz: «Geologen haben ein umfassendes Verständnis von den Prozessen im Erdinneren.»

    Frau Müller, Sie sind kürzlich von einem Arbeitseinsatz in Nepal zurückgekehrt. Welche Eindrücke sind Ihnen besonders haften geblieben?
    Dieses Mal vor allem die aussergewöhnlich heissen Tage im Terai, also dem Flachland von Nepal, und später auch in Kathmandu. Es war wohl schon früh die Zeit des Vormonsuns, wenn sich die Wolkensysteme über dem indischen Ozean aufbauen, die dann zur Regenzeit sich entleeren. Weiter auch der viele Schnee im Hochgebirge wie auch die Probennahme bei 20 neuen Filtern in einer anderen Provinz – die Filter waren etwa drei Jahre in Gebrauch, wurden jedoch nie gereinigt oder gewartet.

    Mit diesen Filtern sprechen Sie ein Wasserprojekt in Süd-Nepal an, das Sie leiten. Wie sind Sie zu diesem Engagement gekommen?
    Über gute Kollegen der Eawag, dem Wasserforschungsinstitut der ETH Zürich, die angefragt wurden bezüglich einem spezifischen chemischen Analyseverfahren von Grundwasserproben aus Nepal, die Arsen enthalten. Da ich Nepal seit über 30 Jahren sehr gut kenne und mich da praktisch jedes Jahr aufgehalten habe, mit den örtlichen Verhältnissen vertraut bin, wurde ich angefragt.

    Interessanterweise ist dafür aber nicht der Mensch verantwortlich. Wie kommt denn das Arsen ins Wasser?
    Ja, tatsächlich, für diese Katastrophe ist für einmal nicht der Mensch verantwortlich. Das Arsen ist natürlicherweise aus geologischen Gründen in den Gesteinsbruchstücken enthalten, die im Flachland Nepals den Boden aufbauen. Aus diesen Bodenbestandteilen kann es dann unter sauerstoffarmen Bedingungen herausgelöst werden und ins Grundwasser gelangen.

    Barbara Müller: «Wir bauen Filter aus lokalen Materialien.»

    Sie sind Geologin. Hat das Ihnen geholfen, der Ursache auf die Spur zu kommen?
    Ja, das war sicherlich die Voraussetzung hierfür. Geologen haben ein umfassendes Verständnis von Prozessen, die sich im Erdinneren und vor allem an der Erdoberfläche abspielen. Diese Gesamtschau ist unabdingbar für die Klärung der Ursache des Problems.

    Wie entgiften Sie nun das Wasser?
    Wir bauen Filter aus lokalen Materialien, die frei auf den üblichen Freiluftmärkten erhältlich sind. Konkret stecken in diesen Filtern rostige Nägel, denn die Rostpartikel können das Arsen an der Oberfläche binden, und 50 kg Feinsand, der die Rostpartikel wieder entfernt, sonst würde das Wasser nach Eisen schmecken und würde nicht goutiert.

    Sie haben es erwähnt: Auch das Wasserforschungsinstitut Eawag ist an dem Projekt beteiligt. Welches ist sein Beitrag?
    An der Eawag wird die chemische Analytik kostenlos durchgeführt. Diese speziellen Geräte sind in Nepal nicht vorhanden, da sie zu teuer sind.

    Wie viele Menschen leben im Einzugsgebiet des arsenhaltigen Wassers?
    Etwa 15 Millionen.

    Wie ist das Projekt finanziert?
    Vor allem über private Stiftungen, untergeordnet über öffentliche Gelder. Ich akquiriere sämtliche finanziellen Mittel in Eigenregie.

    Gibt es noch andere Regionen, wo Probleme mit dem natürlichen Arsen auftauchen?
    Ja, das Problem existiert in ganz Südostasien, so auch in Westindien, Bangladesch, Myanmar, Thailand, Kambodscha, Vietnam, Taiwan und in Teilen von China.

    Ruhe, Abgeschiedenheit, Gelassenheit des Hochgebirges.

    Sie kennen nicht nur den flachen Süden Nepals an der Grenze zu Indien, sondern auch das Himalaya-Gebiet, wo Sie regelmässig grosse Trekkingtouren machen. Was fasziniert Sie an dieser Gegend?
    Die Ruhe, die Abgeschiedenheit, die Gelassenheit des Hochgebirges. Nicht zuletzt auch die Orte der Kontemplation, denn der Nepal-Himalaya ist buddhistisch geprägt. Und natürlich die Geologie, die einmalig ist.

    Wie nehmen Sie die Nepali wahr?
    Dass sie nach dem Motto leben: «Wir haben keine Eile, wir haben Zeit». So hektisch auch der Verkehr zum Beispiel in Kathmandu ist, so sehr ist das ländliche Leben beschaulich.

    Reden wir noch über Sie persönlich: Sie leben mit verschiedenen Behinderungen und üben trotzdem anspruchsvolle berufliche Tätigkeiten aus. Welche Erfahrungen machen Sie damit?
    Vor allem die Erfahrung der Diskriminierung und Ausgrenzung. Mir wurde eine akademische Karriere regelrecht verweigert. Mit der IV Thurgau gab es rechtliche Probleme. Den Mitarbeitern dieser Stelle passt meine wissenschaftliche Tätigkeit nicht in den Kram, sie verweigerten mir Hilfsmittel zur Arbeitsausführung. Nach 17 Gerichtsprozessen in 15 Jahren, wobei der grösste Teil der Urteile zu meinen Gunsten ausfiel, musste die IV Thurgau dann im Juni 2019 unter massivem Druck von übergeordneten Stellen mein Dossier an die IV Zürich zur Beurteilung abtreten. Seither kann ich in Ruhe meiner Arbeit nachgehen.

    Orte der Kontemplation.

    Welche Ratschläge würden Sie Menschen in ähnlichen Situationen geben?
    Ich rate Betroffenen vor allem, ihren persönlichen Weg zu gehen, den sie aufgrund ihrer Neigungen, Begabungen, Fähigkeiten und Interessen wählen sollen. Lasst Beeinflussung von aussen nicht zu!

    Sie sind auch politisch aktiv und sassen für die SP im Thurgauer Kantonsrat. Nach Ihrem Parteiaustritt engagieren Sie sich in massnahmenkritischen Organisationen und kandidieren nun sogar für Mass-Voll! für den Nationalrat. Welche politischen Anliegen und Ziele verfolgen Sie?
    Grundrechte gelten absolut und unter allen Umständen, diese sind ja verfassungsmässig festgehalten. Souveränität des Individuums ist die Voraussetzung für ein erspriessliches Zusammenleben. Ich stehe ein für die Schwächsten unserer Gesellschaft: für Menschen mit Behinderung, Kinder und Betagte und deren Belange. Vor allem engagiere ich mich für eine uneingeschränkte gesellschaftliche Teilhabe.

    Dr. Philipp Gut


    Zur Person: Dr. Barbara Müller ist Geologin ETH. In Nepal leitet sie ein Projekt zur Reinigung von Grundwasser, das durch natürlich vorkommendes Arsen verseucht ist. Trotz mehrerer Behinderungen übt Barbara Müller anspruchsvolle berufliche Tätigkeiten aus und ist daher ein Vorbild für Menschen mit Beeinträchtigung. Auch politisch setzt sie sich für Gleichberechtigung und Teilhabe ein. Für die SP sass sie im Thurgauer Kantonsrat. Nun kandidiert sie für Mass-Voll für den Nationalrat. Damit will sie ihren Einsatz für die Bürgerrechtsbewegung und Grundrechte fortsetzen.

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