Städte im «Schwitzkasten»

    Hitzewellen haben in städtischen Gebieten grössere Auswirkungen als auf dem Land. Und die nächste Hitzewelle kommt bestimmt. Da sind die Stadtplanerinnen und Stadtplaner gefordert.

    (Bilder: Shutterstock) Hitzewellen haben in städtischen Gebieten grössere Auswirkungen als auf dem Land

    Die so genannten «Hitzewellen» werden künftig in Städten zunehmen. Man spricht bei einer Hitzewelle von mehreren aufeinander folgenden «Hitzetagen». Dies hat mittel- und unmittelbare Folgen auf die Produktivität der Bevölkerung oder auch auf das Stimmungsbild in den Städten.

    Die Prognosen einer Zunahme von Hitzewellen seien sehr realitätsnah, sagt Prof. Dr. rer. nat. Eberhard Parlow vom Departement Umweltwissenschaften der Uni Basel. Die Phasen mit sehr hohen Temperaturen werden tendenziell länger, bestätigt der Forscher. Auch wenn 2021 dies bisher noch nicht so stark spürbar war wie etwa 2019. Dabei sei der einzelne sehr warme Tag nicht so entscheidend, sondern mehr die Sequenz von heissen und immer heisser werdenden Tagen. «Die Städte und insbesondere die Wohnungen wärmen sich stark auf und die nächtliche Abkühlung reicht nicht mehr aus, um die Sache auszugleichen», sagt Parlow.

    «Eine geeignete Stadtplanung und Architektur ist entscheidend»
    Dem stimmt auch Dr. Sven Kotlarski vom Institut f. Atmosphäre und Klima der ETH Zürich zu: «Entscheidende Faktoren sind Wärmestrom und Verdunstung. Die Perzeption der aufeinander folgenden Hitzetage in den Städten ist extremer, weil ein Ausgleich durch Verdunstung nicht statt findet und eine Wärmeinsel entstehen kann. Auf dem Land ist die Verdunstung grösser. Deshalb bekommen auch städtebauliche Massnahmen mit Bepflanzungen asphaltierter Regionen und einer guten Durchlüftungsmöglichkeit der Stadt grosse Bedeutung.» Hier setzt auch Eberhard Parlow an: «Eine geeignete Stadtplanung und Architektur ist entscheidend und kann extremen Auswirkungen des Wetters entgegenwirken. Das wird heute zum Teil getan, aber in der Architektur sind diese Rahmenbedingungen noch kaum angekommen. Heute wird in Glas gebaut und das heizt sich auf – es entsteht ein Treibhauseffekt. Da hilft es auch nicht, wenn Architekten dauernd predigen, man habe alles im Griff – die müssen in diesen Gebäuden ja nicht selber wohnen.»

    Abkühlung und Verhinderung von Dehydrierung ist wichtig.

    Herausforderung für Mensch und Material
    Die Folgen von Hitzewellen in einer Stadt sind vielfältig. Dr. Eberhard Parlow hebt einige Punkte heraus: «Strassenbeläge können platzen und Autobahnen werden gesperrt oder es gibt Geschwindigkeitsbeschränkungen. Schienen verbiegen sich sogar manchmal und der Bahnverkehr wird beeinträchtigt. In den Städten werden indessen neue grossflächige Parkanlagen geplant, Dächer und Fassaden sollen grosszügig bepflanzt, Verkehrswege durch mehr Bäume beschattet und frisch entsiegelte Bodenflächen umgehend begrünt werden. Auch zusätzliche Brunnen, Becken und Wasserspiele sind vorgesehen. Der Kampf gegen die Hitze wird also viel Wasser benötigen. Der Siedlungswasserwirtschafter Max Maurer von der ETH Zürich gab in einem Interview auf SF zu bedenken, dass sich der Niederschlag in Zukunft unregelmässiger verteilen werde. Einerseits komme es häufiger zu aussergewöhnlichen Starkniederschlägen, bei denen in kurzer Zeit enorme Wassermengen herunterprasseln. Andererseits müsse man sich auf lang anhaltende Trockenheitsperioden vorbereiten, in denen das Wasser zur Bewässerung vorübergehend knapp werden könne. Die Herausforderung werde sein, diese Extreme zu berücksichtigen. Eine Stadt sei wie ein Schwamm, sagen die Expertinnen und Experten. Damit die neu angelegten Grünflächen im Sommer und kühlende Wasserbecken bei ausbleibendem Niederschlag nicht trockengelegt werden müssten, sei es deshalb entscheidend, möglichst viel Regenwasser in der Stadt zurückzubehalten (Quelle: SRF).

    Verdunstung auf «vollen Touren» ermöglichen
    Und was ist mit den Menschen? Auch die Produktionsleistung der arbeitenden Bevölkerung lässt im Hochsommer nach, ebenso die Konzentrationsfähigkeit, was zu Fehlern bei der Arbeit führt. Meist bleiben die Folgen im grünen Bereich, so Parlow, aber es kann auch zu schwerwiegenden Konsequenzen führen bei Arbeiten, die lebensentscheidend seien wie jene in Spitälern oder im Verkehrswesen. Innerhalb der Betriebe könne man zwar mit Klimaanlagen gegensteuern, aber diese seien bei uns nicht so verbreitet wie in den USA, Japan oder vielen mediterranen Ländern. «Andererseits lässt sich das Problem für den menschlichen Organismus nicht komplett lösen, wenn der entsprechende Mensch nachts bei hohen Temperaturen von über 22°C schlafen muss. Ein Schlaf bei hohen Temperaturen (man geht von ca. 21°C aus) ist nicht sehr erholsam und der Mensch wacht morgens gestresst auf, was seine Anpassungsfähigkeit am Folgetag erschwert.» Und was empfehlen die Experten bezüglich Verhaltensweisen, Arbeitseinteilung und so weiter bei Hitzewellen speziell in Metropolen und mittelgrossen Städten? Viel Trinken, und zwar mindestens drei Liter ist das Motto. Dies ermögliche die Verdunstung auf «vollen Touren». Ausserdem solle man die Wohnungen tagsüber abdunkeln, um die Strahlungsenergie draussen zu belassen und grosse physische Belastungen um die Mittagszeit und den frühen Nachmittag vermeiden und eher auf den Abend oder frühen Morgen verschieben. Eberhard Parlow: «Der menschliche Organismus ist so gebaut, dass er bei den auf dieser Erde vorkommenden meteorologischen Bedingungen weitgehend überleben kann. Ausnahmen sind extreme Kälte in der Antarktis oder zentrale Hitzewüsten ohne Wasser. Da er seine Körperinnentemperatur auf 37 °C bei geringer Abweichung von ca. 0.5 °C halten muss, besitzt er Möglichkeiten, das zu tun.» Bei grosser Hitze seien, so der Forscher der Uni Basel, die effizientesten «Wärmeausgleichsverfahren» die verschiedenen Formen der Verdunstung. Er spricht vom Verdunsten durch die Atmung, durch die Hautporen oder durch Absondern von Schweiss auf der Haut. «Jeder dieser Verdunstungsprozesse ist mit einem erheblichen Energieaufwand verbunden, der dem Körper entnommen wird, was wiederum zu einer Wärmeabgabe und daher einer Abkühlung und einem Schutz vor Überhitzung verbunden ist. Egal wo sich der Mensch aufhält gibt es immer die Möglichkeit der Atemverdunstung. Selbst am Amazonas.» Aber es gibt natürlich Abstufungen: ist die Luft bereits sehr feucht, wie oft bei uns bei Hitzewellen, dann kann der menschliche Organismus nur wenig verdunsten, ist die Luft sehr trocken, dann läuft dieser Prozess auf Hochtouren und der Mensch kann sich zumindest kurzfristig in extremen Situationen aufhalten und überleben. Das Ganze klappe natürlich nur, wenn man «oben» genügend Wasser reinschüttet. So könne man auch «seitlich» gut auf Dauer verdunsten. «Während der Hitzewelle 2003 sind an die 35’000 Menschen zusätzlich zur normalen Mortalitätsrate gestorben und man muss in der europäischen Geschichte bis ins 14. Jahrhundert zurückgehen, um ein Naturereignis zu finden, das mehr Menschenleben gekostet hat. Im Sommer 2003 starben viele Menschen an den Folgen von Dehydrierung, weil sie nicht genügend getrunken haben.» Andere Anpassungen betreffen die Arbeitszeiten und das Arbeitspensum. Eberhard Parlow: «In mediterranen Ländern macht man nicht umsonst Siesta. Das ist bei uns nicht üblich und zum Teil sogar verpönt und vom Arbeitgeber nicht gern gesehen. Aber es würde helfen…»

    JoW

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