Energiestrategie ist ohne Kernenergie kaum umsetzbar

    Der Plan der Politik, notwendige Klimaschutzmassnahmen und gleichzeitig eine sichere Stromversorgung ohne Kernenergie zu realisieren, kann nicht aufgehen. Es droht ein massiver Stromengpass. Dies zeigt eine neue Analyse des Nuklearforums Schweiz und der Schweizerischen Gesellschaft der Kernfachleute.

    (Bild: Nuklearforum Schweiz) Die CO2-arme Kerntechnik ist Teil einer umweltfreundlichen Energiepolitik.

    Die Anzeichen mehren sich, dass der geplante Weg der Energiestrategie in der Schweiz in eine Sackgasse führen wird. Zu diesem Ergebnis kommt auch eine Arbeitsgruppe junger Mitglieder des Nuklearforums Schweiz und der Schweizerischen Gesellschaft der Kernfachleute (SGK) in einem kürzlich veröffentlichten White Paper. Der Plan, notwendige Klimaschutzmassnahmen und gleichzeitig eine sichere Stromversorgung ohne Kernenergie zu realisieren, wird nach der Analyse der Gruppe unter den aktuellen Voraussetzungen nicht funktionieren. Ein wesentlicher Grund dafür sind die zu optimistischen Erwartungen an die Verfügbarkeit von Stromimporten aus dem Ausland – insbesondere im Winter.

    Die Autoren – Nachwuchswissenschaftler, Ökonomen und Juristen – kommen zu dem Schluss, dass spätestens ab 2035 ein massiver Stromengpass droht, sollte die Schweiz keine zusätzlichen Produktionskapazitäten im Inland schaffen. Die aktuelle Energiestrategie sieht jedoch auch vor, dass die Schweiz in Zukunft grosse Mengen an Strom importieren kann. Vor diesem Hintergrund hat die Arbeitsgruppe die Versorgungslage der Schweiz mit Strom bis 2050 unter Einbezug der Klimastrategien der Nachbarländer analysiert. Und: Die Ergebnisse der Berechnungen unterscheiden sich wesentlich von den Erwartungen des Bundes zur Stromproduktion und Importverfügbarkeit aus den Nachbarländern. Denn alle Nachbarländer der Schweiz beabsichtigen ebenfalls, ihre Volkswirtschaften zu dekarbonisieren und damit zu elektrifizieren, um die Klimaziele zu erreichen. Danach werden die Nachbarländer bereits 2035 rund 300 Terawattstunden (TWh) bzw. 18% weniger Strom produzieren als die Schweiz in den Energieperspektiven 2050+ kalkuliert hat. Bis 2050 wird diese Differenz auf rund 740 TWh bzw. 40% steigen. Sollten die einzelnen Länder ihre Klimaziele erreichen, wird in den Jahren nach 2035 zu wenig Strom im europäischen Netz sein – vor allem im Winter. Darunter wird vor allem die Schweiz leiden, die in Zukunft bewusst auf Stromimporte setzt.

    Kernenergie muss ein Szenario bleiben
    Mit dem Verzicht auf die Kernenergie fehlt der Schweiz fast die Hälfte ihres Grundlaststroms. Zusätzliche inländische Produktionskapazitäten, deren Aufbau von vielen Seiten gefordert wird, unter anderem von der Eidgenössischen Elektrizitätskommission (ElCom), müssten demnach zwingend Bandenergie bereitstellen, denn die grossangelegte Speicherung von Strom ist noch nicht ausgereift.

    Die entsprechenden Lösungsszenarien der Arbeitsgruppe sehen den Einbezug der Kernenergie vor – etwa durch den Langzeitbetrieb der bestehenden Kraftwerke der Schweiz. Gerade die drohende Winterlücke beim Strom kann durch Kernenergie wirksam verhindert werden. Ein Betrieb von mindestens 60 Jahren ist mit den Schweizer Anlagen sicherheitstechnisch möglich. Dadurch kann Zeit gewonnen werden, um bei möglichen Ausbauschwierigkeiten von neuen erneuerbaren Energien keine Versorgungsengpässe zu riskieren.

    Moderne Reaktortechnologie
    Auch beim Kampf gegen den Klimawandel setzen zahlreiche Länder auf die CO2-arme Kerntechnik als Teil einer umweltfreundlichen Energiepolitik. Als Beispiel sind hier moderne Small Modular Reactors (SMR) zu nennen. Die SMR-Technologie verfügt gegenüber konventionellen Anlagen über Weiterentwicklungen in der Sicherheit, Brennstoffausnutzung, Flexibilität und Entsorgung. Ökonomisch sind sie wegen ihrer modularen Bauweise und den kürzeren Bauzeiten ebenfalls attraktiv. Die mittleren Stromkosten für SMRs sind mit denen für erneuerbare Energiequellen vergleichbar. SMRs wurden für den Lastfolgebetrieb entwickelt und könnten daher volatile Stromerzeuger wie Wind und Photovoltaik ergänzen. Die Problematik der Speicherung und der Sicherung der Grundversorgung würde durch diesen Mix abgemildert werden.

    Klimaschutz und Versorgungssicherheit
    Ich bin der Arbeitsgruppe sehr dankbar für dieses Papier. Ich bin mir sicher, ihre Erkenntnisse sind ein wertvoller Beitrag zur Diskussion um Klimaschutz und Versorgungssicherheit. Wenn wir einen Stromengpass oder ein Nicht-Erreichen der Klimaziele verhindern wollen, müssen wir endlich damit an- fangen, technologieoffen zu planen. Und diese Technologieoffenheit ist nur eine von acht politischen Handlungsempfehlungen aus dem White Paper. Weitere Empfehlungen betreffen die realistische Bewertung der Strom-Exportfähigkeit der Nachbarländer, die stärkere Einbeziehung der Privatwirtschaft, eine technologische Mehrgenerationen-Perspektive oder die Verbesserung der Rahmenbedingungen für inländische Stromerzeugungskapazitäten.

    Im Hinblick auf die angestrebte massive Dekarbonisierung benötigt nicht nur die Schweiz in den kommenden Jahren massiv mehr Strom. Wenn wir nichts tun, laufen wir bei der Stromversorgung auf einen Versorgungsengpass zu. Es ist daher nicht eine Frage, ob wir das Neubauverbot für Kernkraftwerke aufheben wollen, sondern vielmehr, ob wir uns den Ausstieg aus der Kernenergie vor dem Hintergrund des Klimawandels und der Versorgungssicherheit leisten können.

    Weitere Informationen:
    www.nuklearforum.ch/whitepaper

    Hans-Ulrich Bigler
    Präsident Nuklearforum Schweiz

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