«Die Wasserkraft muss möglichst weit ausgebaut werden»

    Für FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen war das Nein zum CO2-Gesetz eine «riesige Überraschung». Das Volk habe weise und gelassen abgestimmt. Um den Energiebedarf in Zukunft sicherzustellen, brauche es jetzt einen Ausbau der Wasserkraft. Auch neue Kernkraftwerke dürften nicht tabu sein.

    (Bild: zVg) Christian Wasserfallen: «Ich bin gerne viel draussen in der Natur.»

    Herr Wasserfallen, Hand aufs Herz: Hat sie das Nein des Schweizer Stimmvolks zum CO2-Gesetz nicht auch selbst überrascht?
    Das war eine riesige Überraschung. Eine Übermacht an Befürwortern und eine einseitige jahrelange mediale Kampagne in diesem Themenbereich und dann sagt die Bevölkerung Nein. Das war wirklich nicht zu erwarten.

    Wie deuten Sie das Ergebnis?
    Die Bevölkerung entschied im Wissen um die internationalen Zusammenhänge weise und viel gelassener als die Politik. Die drastischen Kostenfolgen sowie die unfairen neuen Steuern wie jene auf Flugtickets wurden entlarvt. Die Erhöhung des Benzinpreises sowie die Anfütterung einer kleinen Klientel von Profiteuren stiess den Leuten sauer auf.

    Sie haben das Gesetz mit liberalen Argumenten bekämpft. Wo liegen denn aus Ihrer Sicht die grössten Mängel der jetzt an der Urne gescheiterten Vorlage?
    Die Vorlage war eine reine Umverteilung unter dem Titel «Klimafonds», der bei näherer Betrachtung einem Selbstbedienungs­laden gleichkam. Das Argument, man wolle dafür einheimisches Gewerbe fördern, mutete planwirtschaftlich an. Die neue Flugticketsteuer war eine Fehlkonstruktion der gröbsten Sorte. Schweizer Passagiere abfliegend ab Schweizer Flughäfen hätten im Gegensatz zu Umsteigepassagiere bezahlt. So ein Unsinn.

    Wie geht es nun weiter? Und konkreter gefragt: Welche Elemente einer liberalen Klimapolitik ohne Steuern, Verbote und überbordende Bürokratie schlagen Sie vor?
    Erstens sind die Massnahmen im bestehenden CO2-Gesetz einmal linear zu verlängern, da sie sonst Ende 2021 auslaufen. Den Antrag dazu habe ich bereits persönlich formuliert. Die Energiekommission hat hier bereits vorgespurt.
    Zweitens sind alle Massnahmen in einem künftigen CO2-Gesetz in allen drei Dimensionen nahhaltig zu gestalten: Diese müssen ökologisch, wirtschaftlich und sozialverträglich sein. Mit dem eingesetzten Franken ist möglichst viel CO2 einzusparen.
    Drittens muss das CO2-Gesetz weg kommen von der reinen Nabelschau. Die grossen CO2-Probleme bestehen klar im Ausland. Es müssen internationale Verträge und Systeme geschaffen werden, damit unsere Exportwirtschaft echte Anreize hat, im Ausland zu wesentlich tieferen Kosten CO2 im grossen Stil einzusparen. Die gegenseitige Anrechenbarkeit von CO2-Einsparungen ist übrigens eine zentrale Forderung des Pariser Klimaabkommens. Leider ist das bisher toter Buchstabe. Ich bin überzeugt: Diejenigen Länder, die hier als erste gegenseitig eine Art «Klima-Freihandel» etablieren, werden massiv profitieren.

    Bedeutet das Volks-Nein zum CO2-Gesetz auch einen Richtungswechsel auf dem Weg zur Energiewende?
    Die Energiestrategie 2050 fusste auf zwei grundlegenden Irrtümern. Einerseits wollte man damit ausgerechnet die Kernenergie verbieten, also jene Energieform, die fast CO2-frei Strom produziert.
    Andererseits traf man die Fehlannahme, dass der Energiebedarf – auch beim Strom – sinken werde. Dabei rufen Effizienzmassnahmen sowie die Reduktion von fossilen Brenn- und Treibstoffen geradezu nach mehr Stromverbrauch. Was es jetzt braucht, ist ein Umdenken: Die Wasserkraft muss möglichst weit ausgebaut werden. Dazu benötigen wir bessere Marktbedingungen, tiefere Wasserzinsen und weniger Blockaden der Projekte bis vor Bundesgericht.

    (Bild: pixabay.com) Die Wasserkraft muss ausgebaut werden. Auch die Kernenergie darf kein Tabu mehr sein.

    Wie kann die Versorgungssicherheit im Energiebereich auch in Zukunft sichergestellt werden? Braucht es dazu auch neue Kernkraftwerke?
    Die Denkverbote bei der Kernenergie sind aufzuheben. Das Technologieverbot verstösst gegen alle wissenschaftlichen Erkenntnisse, die der Kernenergie eine tragende Rolle für die Lösung der Klimaprobleme attestiert. Offenheit für künftige Generationen der Kernenergie ist wichtig.

    Eine Schlüsselrolle, wohin die Reise der Schweiz in der Energie- und Klimapolitik gehen wird, spielt Ihre eigene Partei, die FDP. Parteipräsidentin Petra Gössi hat nach dem Nein zum CO2-Gesetz ihren Rücktritt angekündigt, die Basis ist dem Kurs der Parteiführung nicht gefolgt und hat mehrheitlich Nein gestimmt. Die parteiinternen Diskussionen über den künftigen Kurs laufen heiss. Auf welche Seite wird das Pendel ausschlagen?
    Klar ist, dass der Kurs gescheitert ist. Die Stimmbevölkerung hat das Gesetz wie unsere Wählerschaft abgelehnt. Unsere Wählerschaft stimmte mit über 60 Prozent nein. Der Kurs muss wieder prägnanter werden. Es gibt für uns eine klare Richtung: Rechts der Mitte mit liberaler Ausrichtung. Das ist das politische Feld, das zu uns gehört und von niemandem besetzt wird. Mit diesem Kurs haben wir damals im Jahr 2015 erstmals seit 36 Jahren wieder die Wahlen gewonnen. Zudem braucht es klarere und bodenständigere Kommunikation und eine Fokussierung auf Themen, wo die FDP einig ist und wahrgenommen wird. Mit der Renteninitiative, der Initiative für die Einführung der Individualbesteuerung und den Massnahmen, um die Schweiz nach der Corona-Krise wirtschaftlich wieder in Schwung zu bringen, haben wir viel zu bieten.

    Das Thema «Klima» hat die (umwelt-)politische Debatte der letzten Jahre dominiert wie zuvor kaum ein anderes. Ist diese extreme Fokussierung angebracht, oder verstellt sie eher die Sicht auf das grosse Ganze?
    Die Sicherung der Sozialwerke wie der AHV und der Pensionskassen ist das dringendste Problem, auf welches wir Antworten brauchen. Die Beziehungen zu den europäischen Nachbaren rücken auch in den Fokus, nachdem das verfehlte Institutionelle Rahmenabkommen endlich vom Tisch ist. Zudem sind die Infrastrukturen nicht zu vergessen. Seien es Schienen, Strassen, 5G-Mobilfiunk, Luftfahrt etc.: Das sind zentrale Erfolgsfaktoren der Schweiz, die es aufzubauen, zu unterhalten und zu finanzieren gilt.

    Wo sehen Sie weiteren Handlungsbedarf im Umweltschutz?
    Es gibt einige Themen, wie z.B. der grosse Nährstoffeintrag in die Böden und Gewässer in der Landwirtschaft. Die Frage der Pestizide im Trinkwasser wurde in den Abstimmungen heiss diskutiert. Zudem die Frage nach der Kreislaufwirtschaft, wo die Schweiz vieles richtig macht, aber es immer wieder Verbesserungen braucht.

    Die Schweiz ist eines der innovativsten Länder der Welt, auch im Bereich grüner Technologien. Was können und müssen wir tun, um diesen Pioniergeist weiter zu Hochleistungen zu animieren?
    Wie bei allen anderen Wirtschaftszweigen gilt: Wir brauchen gute weltweite Handelsbeziehungen, top Arbeitskräfte, gute Infrastrukturen, tiefe Regulierungsdichte, solide Staatsfinanzen, funktionierende Behörden, Berufsbildung usw.

    Zum Schluss noch ein paar persönliche Fragen: Was bedeutet Ihnen die Natur?
    Ich bin gerne viel draussen in der Natur. In Skandinavien zelte ich gerne wild irgendwo an einem lauschigen See. Dank dem «Jedermannsrecht» geht das. Das «Friluftsliv» ist etwas Fantastisches. Das Jedermannsrecht sagt vereinfacht aus, dass man übernachten darf, sofern der Platz beim Verlassen wieder genauso aussieht, wie man ihn angetroffen hat. Diese Denkweise ist der absolute Respekt vor der Natur. In den nordischen Ländern lernt das jedes Kind früh. Da sollten wir uns eine Scheibe davon abschneiden.

    Welches ist für Sie der schönste Ort der Schweiz?
    Sicher die Stadt Bern und draussen in der Natur ein geheimer Ort nördlich von Interlaken.

    Was würde ein FDP-Präsident Wasserfallen unbedingt bewegen und erreichen wollen?
    Selber bin ich an einer Kandidatur für das Parteipräsidium wie bereits im Jahr 2016 nicht interessiert. Das Amt ist mit einem privatwirtschaftlichen Engagement nicht vereinbar. Ich will mich weiterhin beruflich fokussieren.

    Philipp Gut


    Zur Person: Christian Wasserfallen ist Nationalrat, Mitglied der Verkehrskommission, Präsident des Branchenverbandes Infra-Suisse, Präsident des Verwaltungsrates der Bauunternehmung WALO Bertschinger AG Bern und Verwaltungsrat der Werkzeugmaschinen-Unternehmung Tschudin AG, www.wasserfallen.news

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